Corona-Tagebuch: Tag 058

16.05.2020

Soll ich von der Beeskower Schreibwerkstatt erzählen oder von der Maus, die heute Nacht ihr Leben lassen musste? Das mit der Maus finde ich ein bisschen peinlich. Früher, auf dem Bauernhof, auf dem ich groß geworden bin, hatten wir Katzen, um keine Mäuse im Haus zu haben. Ich habe in meiner Stadtwohnung im dritten Stock zwei – Kater – Freigänger. Katzenklappen in den Türen ermöglichen ihnen, jeder Zeit raus und rein zu gehen. Katzen sind ja bekanntlich sehr unabhängige Tiere. Ach, ich erzähle doch lieber von Beeskow. Dort leite ich einmal im Monat eine Schreibwerkstatt. Es kommen 10 bis 15 Frauen. Das letzte Mal hatten wir uns Mitte März getroffen. Die Burg schloss gerade ihre Tore. Im April haben wir uns nicht gesehen. Anfang dieser Woche habe ich angefragt, ob wir uns in drei kleinen Gruppen zu je fünf Personen treffen können. Wir konnten. Es kamen nicht alle. Aber es waren zwei schöne Runden. Wir haben wie immer einen Text geschrieben und gleich vorgelesen und mitgebrachte Texte vorgelesen und diskutiert. Fast alle hatten viel geschrieben. Auch die anderen, die heute nicht da waren, mit denen ich aber per Telefon oder E-Mail in Kontakt war, haben geschrieben. Und es waren alles wunderbare Texte. Die Prosa bildhaft erzählt, die Lyrik rhythmisch. Und alles von einer großen Klarheit. Alle Erklärungsversuche, die ich sonst so oft kritisiert habe, waren aus den Texten verschwunden. Plötzlich war bei allen das Zutrauen zum Leser da: er wird verstehen, was ich meine. Geschrieben haben wir zu Bildern von Lionel Feiniger aus dem Buch „Im Hafen von Peppermint“. Bilder von Schiffen auf der Ostsee. Und das nach einer unruhigen Nacht, in der einer meiner Kater eine lebendige Maus in die Wohnung schleppte und sie mit viel Lärm hin und her jagte. Ich habe versucht, sie mit Handfeger und Müllschippe zu fangen, um der Jagd ein schnelles Ende zu breiten. Aber ich war viel zu müde, um es mit einer flinken Maus aufzunehmen. In Todesangst war sie vermutlich noch schneller als sonst. So konnte ich nur hoffen, dass sie am Morgen noch irgendwo zu finden sein würde und nicht unerreichbar hinter einem Schrank oder unterm Fußboden sitzt. Als ich aufwachte schlief der Kater unschuldig auf seinem Stammplatz. Auf meine Frage, wo die Maus sei, gab er keine Auskunft. Ich guckte unters Bett: Keine Maus. Ich ging ins Bad. Da lag sie, ein durchaus ansehnliches Exemplar, mit dem Bauch nach oben in der Badewanne.