Heute habe ich zum ersten Mal in diesem Jahr den Kuckuck gehört. Nur ganz kurz hat er gerufen, drei-, viermal. Nicht lang genug, um zu fragen: „Kuckuck, Kuckuck, wieviel Jahre leb ich noch?“ Nicht lang genug, um mein Portemonnaie aus der Tasche zu kramen und zu schütteln, so dass das Geld darin klappert. Aber der Zauber wirkt bestimmt auch später noch. Ich merke deutlich, dass ich zu viel vorm Computer sitze. Die rechte Hand schiebt die Maus immer gleiche kleine Wege. Ich zieh die Schultern zusammen. Abends spüre ich die Spannung in Schulter, Handgelenk und Ellenbogen. Meine Krankenkasse schickt mir Yoga-Übungen per E-Mail. Vor Corona war mein Arbeitstag abwechslungsreicher. Ich bin zu Terminen gegangen, habe in Gruppen mit anderen zusammengesessen und diskutiert. Wenn ich einen Workshop angeleitet habe, dann oft stehend. Ich habe nie viel Sport gemacht. Schon in der Schule war der Sportunterricht oft mit Angst vor Verletzung und vor Versagen verbunden. Ich bin bekennende Stubenhockerin. Ich lese, schreibe und bastle gern, nähe und stricke. Schwimmen und Radfahren bereiten mir Vergnügen. Ich wollte jetzt irgendwann – im Mai oder Juni – mit dem Fahrrad ein paar Tage auf dem Oder-Neiße-Radweg Richtung Norden fahren. Ich muss den Plan auf später verschieben. Ich muss Pausen machen, den Rücken strecken, durchatmen, den Blick schweifen lassen ins Grün vor dem Fenster. Zählen, wie oft der Kuckuck ruft.